Im Umkreis des in Lügde/Bad Pyrmont vermuteten Sommerlagers des Varus sind in der Vergangenheit, z. T. auch in jüngster Zeit wichtige römische und karolingische Funde gemacht worden. Zunächst seien die römischen Münzfunde bis zur Zeit des Augustus dokumentiert, die sich auf einem Kreis um das vermutete Lagerzentrum anordnen. Die Ziffern beziehen sich dabei auf eine größere Dokumentation für das ganze Weserbergland, die demnächst in das Internet gestellt werden wird.
Die meist in „Fundmünzen der Römischen Zeit in Deutschland“ (FMRD) publizierten Münzen sind größtenteils verschollen. Der zusätzliche FMRD-Hinweis zum Denar 23) auf das kaiserzeitliche Gräberfeld aus dem 3. Jahrhundert auf dem Lusebrink von Lügde mit der Terra-Sigillata, Typ Dragendorff 37, und mit den römischen Bronzegefäßen ist kennzeichnend. Offensichtlich hat es also in unmittelbarer Nähe des vermuteten Lagers eine germanische Siedlung (vicus ?) aus der römischen Okkupationszeit gegeben , in der römische Bronzegefäße und edle Terra-Sigillata aus der römischen Zeit weiter benutzt und als Grabbeigaben verwendet worden sind. Die Münzfunde 19) an der Straße Lügde nach Hagen könnten einen Hinweis auf einen möglicherweise umkämpften Heereszug der Römer auf dieser Straße in Richtung auf das Begatal, Lemgo, Lage und weiter auf die Wistinghauser und Stapelager Schlucht zu in Richtung auf die obere Lippe sein. Diese Hypothese erhält Nahrung durch den Hinweis von Hermann Neubourg, Die Örtlichkeit der Varusschlacht, Detmold 1887, S. 69, auf eine „unbekannte Sammlung“ römischer Münzen in Sommersell/Bega/Kreis Lippe. Dieser Ort liegt an der eben erwähnten großen ehemaligen Heerstraße. Neubourg kennzeichnet derartige Sammlungsbesitzer mit „schweigsamen Münzsammlern im Lande, welche ihre Sammlungen geflissentlich vor den Augen der Gelehrten verbergen.“ Die Benutzung dieser Heerstraße durch die Varusarmee würde sehr gut in die bisherigen Thesen des Unterzeichners hinsichtlich des Verlaufes der Varusschlacht passen.
Hier die römischen Münzen bis Augustus rings um das Gelände Lügde/Bad Pyrmont:
- 19. Mehrere augusteische Münzfunde an der Straße Lügde nach Hagen um 1750, von Pastor C. F. Fein aus Hameln gesehen und berichtet: Wie weit die alten Römer in Deutschland eingedrungen, Berlin 1750, auch in FMRD VII/4017 (darunter befanden sich Nemausus-Münzen), verschollen.
20. Legionsdenar, 32/31 v. Chr. in einem Grab der Wüstung Hiddenhusen/Eschenbruch, 2000 n. Chr. geborgen, M. Zelle, Lipp. Mitteilungen, Detmold 2005, Verbleib Lippisches Landesmuseum.
21. As des Augustus 28 v. - 14 n. Chr., Fundort bei der Herlingsburg, 1810, FMRD VI/6069, verschollen.
22. Dupondius, Münzmeister M. Sanquinius Rom, 17 v. Chr., nordöstlich der Flur Römerschanze in Elbrinxen/Lügde, M. Zelle, Lipp. Mitteilungen, Detmold 2005, Verbleib, Lipp. Landesmuseum.
23. Republikanischer Denar in Lügde? FMRD VI 6069, Gefunden vor 1828 „zwischen Lügde und der Weser“. Ehem. Slg. Altertumsverein Münster. Verschollen.- W. Prov.Bll. Bd. 1 1828, Bolin Fynden, (40), Nr. 40 a; Wormstall, Münzfunde 270; Christ 28, verschollen.
Zusätzliche FMRD-Info an dieser Stelle: „Auf dem Lusebrink kaiserzeitliches Gräberfeld des 3. Jahrhunderts, zerschmolzene Reste römischer Bronzegefäße und reliefverzierte Sigillata-Schüssel der Form Dragendorff 37.“
24. „Römermünze“ in Amelgatzen, FMRD VII/4016 unter Anmerkung: „ostwärts in der Umgebung von Amelgatzen eine Römermünze (aus Bronze), gefunden zu Hämelschenburg im Besitze des Pastors Morgenstern...“, vgl. auch Bolin, Fynden ( 28 ) Nr. 37, verschollen.
25. Denar südlich von Aerzen in Richtung Bad Pyrmont. Publiziert in: Die Kunde N. F. 52, 2001 durch E. Cosack in seinem Beitrag „Archäologische Funde aus dem Regierungsbezirk Hannover (2000), S. 24, Nr. 43: „ Zeitgenössische Imitation. Augustus. Typ Gaius und Lucius. Geprägt 2 n. Chr.. Bestimmung durch P. Ilisch, Münzkabinett, Münster. Fu. Bei systematischer Absuche gefunden. Fo. Aerzen, Ldkr. Hameln-Pyrmont. TK Aerzen 3921, r: 35 18 300, h: 57 65 950
Interessant ist der berühmte Quellopferfund von Bad Pyrmont:
1863 wurde unter Obhut des Darmstädter Geologen Rudolph Ludwig ein umfassendes Inventar an Quellopferfunden aus den ersten fünf Jahrhunderten n. Chr. im Bad Pymonter Brodelbrunnen gefunden. Darunter befinden sich Fibeln aus der Spätlatene- und aus augusteischer Zeit wie z. B. die Fibeln vom Typ Almgren 15, 19, 22, 45. Besonders zahlreich sind Almgren-19-Fibeln im Römerlager Haltern gefunden worden. Es ist nicht auszuschließen, dass diese ältesten von insgesamt ca. 200 Fibeln aus dem möglichen Sommerlager des Varus stammen, das vermutlich nur einige hundert Meter westlich vom Brunnen begann. Auch der Ort der Opferquelle so nahe am möglichen ehemaligen Varuslager könnte von Bedeutung sein. Verbleib der Opferfunde: Schloßmuseum Bad Pyrmont. Literatur: Ergänzungsbände Hoops RGA, Bd. 20, W.-R. Teegen, Studien zu dem kaiserzeitlichen Quellopferfund von Bad Pyrmont, 1999; Auszüge im Internetbeitrag unter www.hoops.uni-goettingen.de; F. M. Andraschko/W.-R. Teegen, Der Brunnenfund von Bad Pyrmont, Bildheft des Museums im Schloß Bad Pyrmont, Nr. 3, Bad Pyrmont 1988.
Weitere wichtige Informationen zur Frühgeschichte Lügde/Bad Pyrmont:
Im Jahre 2000 fand Dieter Kirchhoff, Bad Salzuflen, gegenüber dem vermuteten Lagergelände rechts der Straße Lügde - Bad Pyrmont und links der Emmer eine domitianische Kupfermünze (nach mündlicher Mitteilung von P. Ilisch, Münster). Bei der Nachsuche auf Anregung des Unterzeichneten im Jahre 2005 fand derselbe Sondenführer vier eindeutig karolingische Fibeln (Verbleib Lipp. Landesmuseum).
Im Manuskript zur Lügder Geschichte 1760 von Conrad Pyrach (Archiv der Freiherren von Spiegel, Rheder A 565) in: Manfred Willeke, Beiträge zur Lügder Geschichte, Sonderveröffentlichung 2005, schreibt dieser Lügder Notar des 18. Jahrhunderts:
„Man könnte wohl mutmaßlich schließen, dass wir annoch eine gegend oder ein Feld linker Seits der Emmer ins Nord-Westen belegen, das Olden Luider Feld benennet wird, darinnen die gedachte Villa Liudi (784 n. Chr. als Villa Livihidi in Fränkischen Annalen, der Unterz.) gelegen gewesen seyen und nachhero auf den jetzigen stadt Lügdischen orte der anbau geschehen...“
Die Ausführungen von Conrad Pyrach aus dem Jahre 1760 und die neuen wichtigen Funde von Dieter Kirchhoff aus den Jahren 1999 und 2005 lassen sich zur Deckung bringen. Danach könnte angenommen werden, dass bereits zu Zeiten des römischen Kaisers Domitian am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. links der Emmer zwischen Lügde und Bad Pyrmont eine Siedlung bis hin zu den Zeiten Karls des Großen als Villa Livihidi kontinuierlich bestanden hätte. In der Villa Livihidi hat Karl der Große mit seinem Heer nach seinem Hofbiographen Einhard das Weihnachtsfest im Jahre 784 n. Chr. verbracht.
Nimmt man die Quellopferfunde, die Dragendorffsche Terra Sigillata auf dem Gräberfeld Lusebrink aus dem 3. Jahrhundert, die augusteischen Münzfunde im Umfeld von Lügde dazu, so bekommen die Strukturen auf den russischen Radar-Satellitenfotos vom Gelände rechts der Emmer (vgl. Beitrag „Sommerlager des Varus entdeckt?“) einen mutmaßlichen zeitgleichen Hintergrund. Wenn in Lügde/Bad Pyrmont wirklich jahrelang das teilweise auch im Winter besetzte große „Sommerlager des Varus“ mit seinen drei Legionen gelegen hätte, dann müssten nach allen Erfahrung hinsichtlich von Vicus-Ansiedlungen in der römischen Besatzungszeit große germanisch/römische Begleitsiedlungen vorhanden gewesen sein, so wie es hier durch die Fundsituation sehr augenscheinlich angezeigt zu sein scheint.
Abkürzungen in der numismatischen Dokumentation:
- Cra. oder Craw. = Michael H. Crawford, Roman Republican Coinage, 2 Bde., Cambridge 1974, häufig verwendetes Zitierwerk.
FMRD = Fundmünzen der Römischen Zeit aus Deutschland, z. B. Abt. VI, Band 4, Münster 1976, Autor B. Korzus mit jeweiliger Zitiernummer des Münzfundes, häufig verwendeter Fundkatalog.
Korzus = B. Korzus in FMRD
Syd. = Edward A. Sydenham, The coinage of the Roman Republic, Spink & Son, London 1952, älteres Zitierwerk.
RIC = C. H. V. Sutherland, R. A. G. Carson, The Roman Imperial Coinage, Volume I, London 1984, viel verwendetes Zitierwerk.
WLMKK = Westfälisches Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte Münster